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Was ist gute Arbeit?

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Barbara Prainsack Barbara Prainsack ·
6 Minuten

Viele Menschen stellen sich derzeit die Frage, wo die vielen Arbeitnehmer geblieben sind, die vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie zum Jahresbeginn 2020 noch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung standen. Barbara Prainsack, Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien, benennt in ihrem Gastartikel Ursachen und stellt Wege zu einer besseren Gestaltung von Arbeit zur Diskussion.

„Work isn’t working“, titelte die britische Tageszeitung The Guardian im März 2022. Auf der Suche nach Ursachen zeigen viele zuallererst auf das Phänomen der sogenannten demografischen Dürre: jedes Jahr gehen mehr Menschen in Pension, als neu eine Erwerbsarbeit aufnehmen. Eine von fünf in der EU lebenden Personen ist heute bereits älter als 65 Jahre; im Jahr 2070 werden es fast eine von drei sein. Die Politik hätte geschlafen, heißt es. Man hätte es kommen sehen müssen.

Dieses Argument greift allerdings nicht weit genug. Natürlich hätte unsere Gesellschaft auf den demografischen Wandel besser vorbereitet sein können: Zum Beispiel insofern, als sich mit der alternden Gesellschaft auch das Profil der typischen Arbeitnehmer*in verändert. Arbeitgeber*innen profitieren zunehmend vom Wissen und den sozialen Kompetenzen älterer und erfahrenerer Arbeitskräfte, müssen aber auch immer stärker auf ihre Bedürfnisse eingehen. In einer Situation, in der viele Unternehmen um einen immer kleiner werdenden Pool von Arbeitskräften konkurrieren, spielt dies eine wichtige Rolle. Für den derzeitigen Arbeitskräftemangel ist der demografische Wandel jedoch nur eine von mehreren.

Work isn´t working

Als der Guardian im vergangenen Jahr konstatierte, dass Arbeit nicht mehr funktioniere, sprach man in angelsächsischen Ländern gerade von der Great Resignation, einer großen Kündigungswelle. Diese wurde neben Burnouts und einem Kündigungs-Rückstau nach dem Ende der Lockdowns auf zwei weitere Phänomene zurückgeführt: Viele Arbeitnehmer*innen, die während der Ausgangsbeschränkungen erstmals von zu Hause arbeiten konnten, wollten danach nicht mehr für fünf Tage in der Woche ins Büro zurück. Und quer durch alle Branchen – auch in denen, in denen Homeoffice gar keine Option gewesen war – hatten Menschen ihre Prioritäten neu geordnet. Viele wollten nicht (mehr) in die Vollzeit – oder gar nicht mehr in den alten Job zurück.

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Dies bedeutet aber nicht, dass es den Leuten „zu gut geht“. Insbesondere den jungen wird nachgesagt, sie wollten weniger arbeiten und stattdessen das Leben genießen. Diese Darstellung ist nicht nur verkürzt, sondern auch gefährlich: Sie verkennt den wahren Grund dafür, dass Arbeit nicht mehr „funktioniert“. Sie spielt Generationen gegeneinander aus und erfüllt damit dieselbe Funktion wie die derzeit so laut geäußerte Sorge vor der Künstlichen Intelligenz, die angeblich hunderte Millionen von Jobs weltweit kosten wird:  Indem man die Angst vor der Arbeitslosigkeit am Lodern hält und gleichzeitig die arbeitende Bevölkerung auseinanderdividiert, stellt man sicher, dass diese nicht zu viel fordert. Dies ist nicht neu: Soziale oder technologische Innovation wurde von bestimmten gesellschaftlichen Gruppen immer dann desavouiert, wenn sie die etablierte soziale und politische Ordnung zu stören drohte.

Warum aber funktioniert Arbeit heute nicht mehr? Unter anderem genau deshalb, weil – wie eingangs festgehalten – sich viele immer weniger von ihrem Arbeitseinkommen leisten können. Die durch den verstärkten Technologieeinsatz und die die Intensivierung der Arbeit erreichten Produktivitätsgewinne haben sich in den letzten Jahrzehnten nicht mehr anteilsmäßig auf die Löhne der Menschen niedergeschlagen. Profite und Preise sind gestiegen, während es in manchen Branchen sogar Reallohnverluste gab. Die Preisanstiege der letzten Monate haben diese Situation weiter zugespitzt. Wer selbst in mit dem Einkommen aus Vollzeitarbeit die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann, hat wenig Motivation, in der Erwerbsarbeit „mehr zu leisten“ – man wird sich von der Politik betrogen fühlen und versuchen, sich anderweitig Sinn zu schaffen. Und wer deshalb keinem Vollzeitjob nachgehen kann, weil es die Betreuungspflichten oder einfach der Stresspegel nicht zulassen, der wird es auch dann nicht tun, wenn man Druck macht. Statt drangsaliert oder bestraft zu werden müssen Menschen zu guter Arbeit ermächtigt werden – nämlich Arbeit, die sie gerne und gut tun– und über ihr Leben gerechnet auch länger tun wollen und können, als es heute der Fall ist.

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Wie wir dieses Ziel erreichen? Als erstes gilt es, all jene Tätigkeiten als Arbeit anzuerkennen, mit denen Menschen einen Beitrag für andere und die Gesellschaft leisten. Arbeit ist mehr als Erwerbsarbeit. Damit würde auch die unbezahlte Arbeit sichtbar, mit denen insbesondere Frauen einen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaft leisten – und der die bezahlte Arbeit erst möglich macht. Wenn man die Arbeit aller Menschen als solche anerkennt, dann erscheint auch die bedingungslose Absicherung der Grundbedürfnisse aller Menschen – etwa in Form eines Bedingungslosen Grundeinkommens – in einem anderen Licht: Es ist kein „Geld fürs Nichtstun“, sondern eine finanzielle Grundlage, die Menschen aus der Abhängigkeit von krankmachender Arbeit befreit und gute Arbeit ermöglicht.

Zweitens muss Mitbestimmung und Flexibilität am Arbeitsplatz erhöht werden. Dieses Ziel wird häufig als hedonistisch oder elitär dargestellt – obwohl es alle angeht. Obwohl wir immer wieder betonen, wie wichtig Demokratie ist, akzeptieren es viele von uns, am Arbeitsplatz keine oder nur wenig Mitbestimmung zu haben. Mitbestimmung ist in allen Branchen möglich – sie reicht von der Frage, wie Arbeitszeit gestaltet wird, bis hin zu kleinen Veränderungen in den Arbeitsabläufen, die Arbeit leichter oder selbstbestimmter oder sinnvoller machen.

Drittens müssen wir anerkennen, dass eine kürzere Arbeitswoche nicht automatisch bedeutet, dass weniger gearbeitet wird. Eine Verkürzung der Normalarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich würde einige Menschen, die derzeit Teilzeit arbeiten, in die Vollzeitarbeit bringen: Wenn eine „normale“ Erwerbsarbeitswoche nicht 40, sondern 32 oder auch 34 Stunden hat, würden manche jener Menschen, die heute kürzer arbeiten, aufstocken – auch weil sie es finanziell spüren würden.

Barbara Prainsack ist Professorin am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Wien. Ihr neuestes Buch heißt „Wofür wir arbeiten“ und ist im Brandstätter-Verlag erschienen.

Titelbild: unsplash.com

Autorenbild: Johanna Schwaiger