Kartenschatten

Newsroom

Die Auseinandersetzung mit räumlichen Narrativen: Szenografie-Interview mit Astrid Michaelis

Lernwelt Büro

Astrid Michaelis
IBA Redaktionsteam IBA Redaktionsteam ·
5 Minuten

Die Kunst der Inszenierung von Räumen wird neuerdings auch in Zusammenhang mit Bürodesign gebracht. Im Theater oder bei einem Filmset ist klar, worum es dabei geht: einen Resonanzraum zu schaffen, der es dem Zuschauer ermöglicht, die jeweils erzählte Geschichte mitzuerleben. Im Büro werden zwar auch Geschichten erzählt, aber welche Geschichte, welches Narrativ soll der Raum selbst erzählen – und ist das überhaupt gewünscht? Schließlich ist ein Büro ja zuallererst ein Arbeitsraum. Oder kann die Gestaltung von Büros durch den Einsatz der Szenografie kreativer werden? Darüber sprach die IBA Forum Redaktion mit Astrid Michaelis.

Astrid, Sie arbeiten unter anderem als Szenografin. Was kann man sich darunter vorstellen?

 

Szenografie kann als Weiterentwicklung des klassischen Bühnenbilds verstanden werden. Es ist eine abstrakte Inszenierung im Raum. Im über den Theaterbereich hinaus erweiterten Sinne kann sie zudem die Gestaltung von Film und Ausstellungen beinhalten. Szenografie gehört aber auch unmittelbar zur Architektur. Sie ist eine räumliche Abstraktion und entwickelt Räume, die Werte und Emotionen transportieren und Menschen dazu anregen, sich mit dem Raum und seinem szenischen Narrativ, seiner Dramaturgie auseinanderzusetzen. Szenografie ist dabei individuell, thematisch, funktional und kontextgebunden. Es geht in der Szenografie darum, Bezüge im Raum zu schaffen und Architektur ganzheitlich zu gestalten. So entstehen Lebensräume, in denen Form und Funktion eins sind (in Anlehnung an Frank Lloyd Wright „Form and function are one.“) und die das menschliche Wohlbefinden stärken.

Zitat Symbol

Szenografie ist ein Träger des Narrativs.“ Astrid Michaelis

Lesen Sie auch

https://unsplash.com/de/@erickwalterbutler
Workspaces of Tomorrow Künstliche Intelligenz als Kreativitätsimpuls

Wo sehen Sie generell Ansätze für Szenografie im Büro?

 

Zielsetzung der Szenografie ist es, Perspektiven zu öffnen, die den kognitiven Austausch befördern und so neue Denkstrukturen entstehen lassen. So verstanden ist sie nicht nur ein praktisches Werkzeug zur Raumgestaltung, sondern ein Mittel, um das Wohlbefinden in Räumen zu steigern. Das bedeutet, es wird eine Vielfalt an Räumen geschaffen: Wirkungsräume, die das visuelle Begreifen vereinfachen, Denkräume, Lebensräume und Rückzugsräume. Das Büro muss dabei anpassungsfähig sein. Es braucht modulare, leicht umbaubare Räume. Szenografie sollte im besten Fall gemeinsam mit den Nutzern entstehen und unterschiedliche Identitäten widerspiegeln. Dadurch können die Anforderungen und Ziele in eine entsprechende Innenarchitektur übersetzt werden; so kann die Identität eines Ortes bestimmt werden. Auch digitale Medien werden eine wichtigere Rolle spielen. Interaktive Displays, Projektionen und digitale Informationswände ermöglichen intuitive Darstellungen von Informationen und Arbeitsprozessen.

Zitat Symbol

Räumliche Ästhetik soll Mitarbeitern ein Höchstmaß an Nutzerfreundlichkeit, Partizipation, Flexibilität, sinnvoller und hochwertiger Gestaltung aller Elemente, Arbeitsatmosphäre und Funktion bieten.“ Astrid Michaelis

Lässt sich Unternehmenskultur inszenieren oder raten Sie eher davon ab?

 

Unternehmen bestehen aus einer Vielzahl von Mitarbeitern, die unterschiedlichste Identitäten, Bedürfnisse und Arbeitsstile haben. Eine zu starke Ausrichtung der Bürogestaltung auf die spezifische Unternehmenskultur könnte dazu führen, dass die Bedürfnisse und Präferenzen bestimmter Mitarbeitergruppen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Unternehmenswerte sind dabei oft noch gar nicht implementiert. Sind sie vorhanden und werden sie gelebt, müssen sie nicht nach außen projiziert werden, nicht als Anspruch formuliert oder in der Gestaltung implementiert werden. Es gilt dann eher, den Raum so zu gestalten, dass die Unternehmenswerte wirklich gelebt werden können und sich im täglichen Miteinander weiterentwickeln.

Lesen Sie auch

Bild: AdobeStock_488891056
Lernwelt Büro Gamification: Wir erschaffen eine andere Art des Arbeitens

Ist es möglich, durch Inszenierung organisationales Lernen zu unterstützen?

 

Rauminszenierung kann eine immersive und ansprechende Umgebung schaffen, in der Mitarbeiter interaktiv lernen können. Dies kann durch technische Maßnahmen erfolgen, um Lernprozesse zu unterstützen und Räume interaktiver zu gestalten. Das kann aber auch durch den Einsatz von Farben oder eine offene und von Individualität geprägte Raumstruktur geschehen, die innovative Problemlösungen erlaubt und unterstützt. Der Inhalt und die Darstellungsform sind in diesem Zusammenhang entscheidend. Es ist wichtig, Lernräume zu schaffen, in denen sich Mitarbeiter wertfrei austauschen und aus Erfolgen und Fehlern lernen können.

Das Büro als Begegnungsort wird in Zukunft nicht mehr ausreichend sein. Wie lässt sich Szenografie nutzen, um Lernräume zu gestalten, die Mitarbeiter dazu anregen, das Büro wieder mehr zu nutzen?

 

Hier kommt für mich die anthropologische Architektur ins Spiel. Eine Architektur, die den sich ständig verändernden sozialen Bedürfnissen von Mitarbeitern gerecht wird. Es geht darum zu verstehen, wie sich Menschen im Raum fühlen. Es geht um Vielfalt, Hintergrund, Meinung und Erfahrungen. Es geht um Fragen wie: Wie eignen sich die Menschen die vorhandenen Räume an? Was sind die sinnlichen Erfahrungen derjenigen, die sich in einem Bürogebäude befinden? Welche Eigenschaften haben Materialien und wie verändern sie sich im Zeitverlauf? Welche Geschichte hat ein Gebäude? Und wenn wir Büroräume gestalten, wie formen uns unsere Büros? Szenografie kann dabei helfen, Büroräume an unterschiedliche, wechselnde Bedürfnisse und differenzierte Identitäten anzupassen und Räume so zu gestalten, dass sich jeder gesehen fühlt.

Frau Michaelis, vielen Dank für das Gespräch.

Astrid Michaelis ist Architektin, klassische Tänzerin und Szenografin. Mit ihrem Fokus auf Ausstellungsarchitektur und Gestaltung, Museumsbauberatung, Innenarchitektur sowie Gesundheitsbau steht sie für kontextbasierte, inklusive und partizipative Projekte. Die Ideen des Ateliers für Szenografie, Architektur und Innenraumgestaltung entwickeln sich aus einer ganzheitlichen Analyse des soziokulturellen Kontextes, der Historie, Thematik und des Ziels eines Projekts sowie den Bedürfnissen und Anforderungen von Nutzern und Gebäuden. Mehr Informationen unter https://michaelis-szenografie.de/.

Titelbild: Astrid Michaelis